Pferdegestütztes Coaching II

Beitrag von Anna Stempel-Romano

In meinem Beitrag zum Thema “Pferdegestütztes Coaching” habe ich als einen wesentlichen Faktor, warum Pferde für die persönliche Entwicklung von uns Menschen eine so relevante Rolle spielen können, bereits die entwicklungsgeschichtliche Verbundenheit zwischen Mensch und Pferd sowie die daraus resultierende Symbolkraft des Pferdes dargestellt.

Heute schreibe ich etwas dazu, wie die natürlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Pferde als Flucht und Herdentiere sie zu prädestinierten Partnern für die Persönlichkeitsentwicklung machen.

Unverfälschte Reaktionen auf menschliches Verhalten – Die Chance für persönliche Weiterentwicklung.

Die unverfälschten Reaktionen der Tiere als Feedback auf das Verhalten des Menschen und die gezielte Suche des Pferdes nach vertrauenswürdiger Führung spielen eine wesentliche Rolle dabei, dass Menschen ihr Selbst-Bild reflektieren lernen und an ihrer (Selbst-)Führung und ihrem Auftreten arbeiten können. Aber woher kommen diese Reaktionen und warum suchen diese großen, beeindruckenden Tiere so intensiv nach Führung?

Genau diese Kombination – die oft beeindruckende Größe  der Pferde, verbunden mit ihrem großen Willen zur Kooperation – ist meiner Einschätzung nach ein entscheidender Faktor für die perönlichkeitsentwickelnde Zusammenarbeit zwischen Mensch und Pferd.

Körperlich überlegen und doch dankbar über Führung!

Pferde sind „dem Menschen körperlich eindeutig überlegen. Sie sind um einiges größer, sehr viel kräftiger und schneller.“ (Truckenbrodt, Fiegler 2004, S. 13). Trotz dieser körperlichen Überlegenheit überlassen Pferde sich überraschend schnell und unkompliziert der Verantwortung und Führung von Menschen, wenn diese authentisch und souverän auftreten.

Dieses Abgeben von Verantwortung und Führung hat für Pferde eine überlebenswichtige Funktion.

Als Fluchttiere sind sie darauf angewiesen, jederzeit die Umgebung aufmerksam zu beobachten. Für Pferde ist es daher sicherer, sich einer Herde anzuschließen und sich vertrauensvoll einem Leithengst und einer Leitstute anzuschließen, die sich um Schutz und Sicherheit der Herde kümmern und die wissen, wo gute Weidegründe und sichere Wasserstellen zu finden sind. Wenn es uns als Mensch gelingt, authentisch und souverän aufzutreten, folgt uns das Pferd freiwillig und gern!

Natürliches Pferdeverhalten – die Basis für pferdegestütztes Coaching

Ihrer Natur gemäß leben Pferde in kleinen Herdenverbänden von ca. 6 Tieren. Sie haben daher ein ausgeprägtes Bedürfnis nach dem Kontakt zu Artgenossen und ein entsprechend differenziertes Sozialverhalten. In einer natürlich zusammengesetzten Pferdeherde (also ohne Eingriff des Menschen) sind in der Regel ein Leithengst und eine Leitstute vorhanden, die unterschiedliche Aufgaben zum Wohl der Herde übernehmen.

Die Leitstute

Sie genießt das Vertrauen der Herde. Sie geht voran und kennt den Weg. Meist wird diese Position von einer älteren, erfahrenen Stute übernommen, die Situationen richtig einschätzen kann und die weiß, wo es die besten Weidegründe und sichere Wasserstellen gibt.

Der Leithengst

Er genießt den Respekt der Herde. Er geht als letzter, treibt die Gruppe an und verteidigt sie gegen Gefahren. Diese Position wird in der Regel von einem gesunden und vitalen Hengst eingenommen, der sich auch im Kampf um seine Position behaupten kann. Allerdings ist es nicht so, dass hier ausschließlich die körperliche Überlegenheit darüber entscheidet, welchem Hengst sich eine Herde anvertraut. Seine innere Stärke, das Selbstbewusstsein, das er an den Tag legt, sind in der Regel mit entscheidend.

Er ist stets das wachsamste Pferd der Gruppe und sichert die Umgebung. Im Falle drohender Gefahr geht er bei Bedarf auch in den Angriff über.

Die Entscheidung, welchem Anführer es vertrauen kann, ist für ein Pferd entscheidend für Leben und Tod

Um diese Entscheidung treffen zu können, haben Pferde im Laufe ihrer stammesgeschichtlichen Entwicklung einen ausgeprägten Sinn für die Eigenschaften von Persönlichkeit und deren Ausprägung entwickelt.

Im Normalfall wenden sie dieses Gespür darauf an, sich für kompetente und vertrauenswürdige Leitstuten und Leithengste zu entscheiden. Bei der persönlichkeitsentwickelnden Arbeit mit Pferden und Menschen kommt uns dieser ausgeprägte und feine Sinn für Authentizität und Souveränität zu gute. Er ist es, der Pferde für die Arbeit an der menschlichen Persönlichkeit zu so vielversprechenden Partnern macht.

Pferde kommunizieren untereinander auf der Basis sehr feiner – für uns Menschen teilweise kaum wahrnehmbarer – Signale. Mit genau der gleichen feinen Wahrnehmung registrieren sie auch unsere Körpersprache und lesen quasi in ihr.

Unser Körper lügt nicht – und die Pferde übersetzen ihn für uns!

Da uns selbst diese Körpersprache oft nicht oder nur kaum bewusst ist und sie sich gleichzeitig vom Verstand nur schwer steuern lässt, reagieren Pferde auf das, was unser Körper über uns und unser Befinden ausdrückt.

Sie lassen sich nicht von Statussymbolen oder einer mühsam aufrecht erhaltenen Fassade täuschen, sondern erkennen ohne zu zögern Unstimmigkeiten im Verhalten des Menschen und reagieren auf Inkongruenzen zwischen innerer und äußerer Haltung verunsichert. Diese Verunsicherung führt dazu, dass sie der entsprechenden Person nicht vertrauen und ihr aufgrund dieses fehlenden Vertrauens auch nicht folgen werden.

Beziehungen – der Kit, der die Herde zusammenhält

Neben den Positionen in einer Pferdeherde spielen auch persönliche Beziehungen für den Zusammenhalt der Herde eine wesentliche Rolle. Zwischen einzelnen Pferden können zum Beispiel enge Freundschaften existieren, welche die ansonsten etablierte Rangordnung zumindest teilweise außer Kraft setzen.

Sichtbar werden diese Beziehungen für uns Menschen beispielsweise darin, dass bestimmte Pferde häufig beieinander stehen, gemeinsam fressen oder sich gegenseitig kraulen.

Auch wenn ein Mensch für ein Pferd nicht den Kontakt zu anderen Pferden ersetzen kann, so kann doch eine tiefe und innige Freundschaft zwischen Mensch und Pferd entstehen, die wiederum für die persönliche Entwicklung des menschlichen Partners von großer Bedeutung sein kann.

Zu erfahren, wie sich ein so großes, beeindruckendes Wesen freundschaftlich auf mich einlässt, ist etwas, was besonders in schwierigen Lebensphasen von außerordentlicher Bedeutung sein kann.

Das Pferd als Begleiter für persönliche Entwicklung

Das Medium Pferd dient somit als Spiegel für unsere eigenen Verhaltensweisen. Es reagiert unvoreingenommen auf das, was es wahrnimmt. Ohne Vorurteile und ohne falsche Vorsicht. Seine beeindruckende Größe, sein spezifisches Sozialverhalten und seine symbolische Kraft machen das Pferd also zum perfekten Partner für die persönliche Entwicklung von Menschen. Egal ob es im “normalen” Reitunterricht, in der Therapie oder in der gezielt als solche angebotenen persönlichen Entwicklung. In welchen unterschiedlichen Varianten und Ansätzen die persönliche Entwicklung mit Pferden möglich wird, dass gibt es hier auf diesem Blog immer wieder zu lesen.

Inspirierende Literatur:

Kindermann, Petra/ Bachofner Andreas: Führungsqualität – das Pferd als Spiegel. Zeitschriftenaufsatz in: Erleben und Lernen. 2/2006

Schwaiger, Susanne: Persönlichkeitstraining mit Pferden. 2001

Truckenbrodt, Nicole/Fiegler, Jutta: Von Pferden lernen. 2004

Vernooij, Monika/Schneider, Silke: Handbuch der Tiergestützten Intervention: Grundlagen – Konzepte – Praxisfelder. 2007

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