von Kathinka Gaess
Es ist morgens halb 8 in einem kleinen Dorf in Andalusien. Es ist noch dunkel und der Nebel dampft auf den Bergwiesen, die das kleine Dörfchen am Atlantik umgeben. Rasch bereite ich 16 separate Futtereimer vor und verteile sie im kleinen Innenhof. Von weit her höre ich das bekannte Hufgetrappel. Die Herde hat sich auf den Weg gemacht um ihr morgendliches Futter zu verzehren.
Wie immer standen sie über Nacht auf einer der Bergwiesen ein paar Kilometer entfernt mit dem noch saftigsten Gras im September. Schon kommen sie in den Innenhof gestoben.
Ich kann sie kaum erkennen, aber ich höre ihren dampfenden Atem. Vorneweg, das habe ich schnell gelernt, geht die anmutige dunkelbraune Leitstute. Sie ist das dunkelste Pferd der Herde. Dahinter kommen die anderen, die geduldig darauf warten bis sie sich ihren Futterplatz ausgesucht hat und der Rest um die umliegenden Plätze streiten darf.
Wenn jeder seinen Platz für den Morgen eingenommen hat, beginnt eine anmutige Stille mit dem mahlenden Geräusch von Kraftfutter zwischen Pferdezähnen.
Freiwilligkeit als Führungsprinzip
Später, das wissen sie, werden sie gesattelt und für den heutigen Ritt vorbereitet. Sie haben sich frei entschieden heute zu kommen und frei entschieden einen Deal mit dem alten Spanier, ihrem zweibeinigen Chef, einzugehen. 3-4 Stunden geritten werden von seinen Gästen gegen 20 Stunden Freiheit und Futter.
Sie wissen, er beschützt, versorgt und versteht sie.
Er weiß, sie sichern seine Existenz.
Es ist ein Geben und Nehmen, ein ungeschriebener Vertrag. Die Fohlen der Herde lernen von ihren Eltern dem alten Spanier zu vertrauen. Sobald sie dazu körperlich im Stande sind, dürfen sie die Herde hin und wieder auf ihren täglichen Bergritten begleiten, um die Wege und ihre Beschaffenheit kennen zu lernen. Die Qualität des gegenseitigen Vertrauens überwältigt mich, es gibt keinen Zwang und keinen Druck.
Freiheit in Verbundenheit? Die Basis ist Vertrauen!
Gerade in Mensch-Mensch Beziehungen können wir uns einiges von dieser Herde und ihrem Verhältnis mit ihrem Menschenchef abschauen. Oft trachten wir nach Freiheit in Verbundenheit – eine Balance zu finden zwischen Individualität und Bindung.
Zum einen ist da der Vertrauensvorschuss der Pferde, sie scheinen zu wissen, dass sie für ihre Arbeit umsorgt und anschließend wieder freigelassen werden. Zum anderen ist da der Vertrauensvorschuss ihres zweibeinigen Chefs, er weiß, dass sie morgens wiederkommen, obwohl er sie mittags in die Freiheit entlässt.
Hierzu braucht es keine Zäune und schon gar keine Boxen.
Inwiefern sind wir bereit, unseren Mitmenschen diesen Vertrauensvorschuss zu geben ohne sie „einzuboxen“ und sie ihrer Individualität zu berauben?
Führen heißt, Verantwortung tragen.
Obwohl ich persönlich kein Freund von starken Rangordnungen bin, so wie die Pferde sie leben, finde ich es doch bewundernswert, welches Vertrauen sie ihrem vier- und zweibeinigen Leittier zukommen lassen und was ein Leittier leisten muss, um als solches überzeugen zu können.
Beim ausgiebigen Beobachten der dunklen Leitstute wurde mir der Umfang ihrer Aufgaben sowie ihre emotionale Intelligenz sehr bewusst.
Von allen Pferden war sie diejenige, die den Überblick behalten musste. Ihre Aufmerksamkeit galt sowohl ihrer Herde, als auch der Umgebung. Jede Regung in ihrer Sicht- und Hörweite wurde aufs Genauste überprüft und abgewogen, ob sie eine Gefahr für die Herde darstellte.
Zudem gab sie Ton und Weg an. Von allen Pferden kannte sie die Umgebung am besten. Sowohl mit als auch ohne Reiter schritt sie voran und testete Wege und Routen.
Wenn wir über den Strand ritten und ein Stück durchs Wasser mussten, fragte ich immer diese Stute, ob sie denke, dass die Passage für alle Pferde begehbar und nicht zu tief war. Wir ritten in das Wasser und blieben eine Weile stehen. Ging sie rückwärts, wusste ich, hier ist kein Durchkommen. Ging sie vorwärts, so wusste ich auch, dass es selbst das kleinste Pferd der Herde gut schaffen würde. In dieser Weise lernte auch ich, dieser Stute aus dem Tiefsten meines Herzens zu vertrauen.
Wenn sie hinter der Gruppe lief, stellte sie sicher, dass niemand den Anschluss verlor. Die langsameren Kandidaten wurden sanft von ihr motiviert einen Zahn zuzulegen, während die jüngeren Pferde gerne mal daran erinnert wurden, auf dem Weg zu bleiben.
Das Leben dieser Stute war anstrengend. Sie hatte wenig Gelegenheit sich auszuruhen, aber sie verkörperte den idealen Manager, die perfekte Führungskraft. Die anderen Pferde schätzten, dass sie sich bei ihr in Sicherheit wiegen durften.
Was Führungskräfte von Pferden lernen können.
Im pferdegestützten Coaching erleben Führungskräfte oft ein Umdenken.
Methoden und Schemata werden beiseite gelegt. Grundfragen die auf natürliche Weise häufig aufkommen, sind: ‚Wie authentisch bist du als Führungskraft? ‘, ‚Vertrauen dir deine Mitarbeiter? ‘ und ‚Inwiefern gibst du ihnen einen Vertrauensvorschuss’?’.
Übersetzt auf pferdisch heißt das: ‚Kennst du den Weg und weiß deine Herde, dass du dich nicht verirrst? ‘, ‚Wenn’s mal brenzlig wird, testest du die Tiefe des Wassers für sie?’, ‚Gehst du sicher, dass alle an einem Strang ziehen?’ und ‚Lässt du ihnen genug Freiheit in dem Wissen, dass ihr morgen wieder zusammen frühstückt?’.